Offener Brief an den Intendanten des Hessischen Rundfunks (Mai 2024)

Sehr geehrter Herr Hager,

nach einer ebenso rasanten wie starken Ausbreitung der Gendersprache in der letzten vier Jahren – an der auch der ÖRR engagiert mitgewirkt hat – zeigt sich immer wieder deutlich, dass eine große Mehrheit unserer Sprachgemeinschaft (rund 80%) dem „gendersensiblen“ Deutsch wenig bis gar nichts abgewinnen kann. In mehreren Bundesländern (Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg) wurden Volksentscheide gegen das Gendern auf den Weg gebracht, einige Landesregierungen (zuletzt Bayern und Hessen) haben den Einsatz von Gendersonderzeichen in Behörden, Universitäten und Schulen gänzlich untersagt. In diesem Zusammenhang hat die neu gewählte hessische Landesregierung im letzten Jahr angekündigt, auch die Genderpraxis des hr auf den Prüfstand zu stellen.

Vor dem Hintergrund breiter und nicht nachlassender Kritik am Gebrauch sogenannter gendersensibler Sprache nehmen wir mit Befremden eine aktuelle Stellungnahme der Redaktion der Hessenschau zur Kenntnis, in der sich Ihre Mitarbeiter dezidiert zur Nutzung „gendergerechter Sprache bekennen:

Die heftigen Debatten der letzten vier Jahre über das Thema Gendersprache – aber auch aktuelle Forschungsbeiträge zum Thema – sind an diesem Text offenbar spurlos vorübergegangen. Er weist eine erhebliche Einseitigkeit in der Darstellung auf und lässt den Sprachgebrauch vieler Menschen als defizitär und reparaturbedürftig erscheinen. Nicht erst in den letzten vier Jahren haben sich zahlreiche Sprachwissenschaftler zu Wort gemeldet und die zentralen Prämissen der Gendersprache kritisch beleuchtet. Die Thesen zur Wechselwirkung von Sprachstruktur und gesellschaftlicher Wirklichkeit, die von Befürwortern der Gendersprache vorgebracht werden, sind empirisch nicht belegbar. Auch psycholinguistische Studien, die zur Rechtfertigung der Genderpraxis herangezogen werden, gelten vielen Forschern als wenig aussagekräftig. Dass Menschen beim generischen Maskulinum vorwiegend an Männer dächten, diese Form also nur „pseudogenerisch“ sei, ist wissenschaftlich längst widerlegt (siehe etwa: Meineke, Eckhard: Studien zum genderneutralen Maskulinum. Heidelberg: Winter 2023). Insofern ist nicht nachzuvollziehen, weshalb die „Hessenschau“ dogmatisch verkündet: „Ansonsten gehört das generische Maskulinum in unserem Angebot der Vergangenheit an“.

Der Text, in dem wiederholt die Formulierung „männliche Form“ verwendet wird, legt die Vermutung nahe, dass den Verfassern der kategoriale Unterschied zwischen Genus und Sexus nicht bekannt zu sein scheint. Das Maskulinum ist keine „männliche Form“, sondern eine grammatische Kategorie (ebenso wie das Femininum und das Neutrum). Eine grundsätzliche Kopplung von grammatischem und biologischem Geschlecht gibt es im Deutschen nicht. Wörter wie „Mensch“, „Person“ oder „Opfer“ belegen dies.

Ihre Mitarbeiter nehmen für sich in Anspruch, „alle Menschen in Hessen“ anzusprechen und die „Vielfalt Hessens“ in ihrem Angebot sprachlich abzubilden. Sie behaupten, dass sich „viele Menschen“ durch das generische Maskulinum nicht mehr „repräsentiert“ fühlten. Es ist unklar, wie sie zu dieser Einschätzung gelangen, denn sämtliche Umfragen zur Akzeptanz der Gendersprache sprechen eine andere Sprache. Eine große Mehrheit in unserer Sprachgemeinschaft versteht und schätzt das generische Maskulinum als genderneutrale Sprachform. Ihre Mitarbeiter sollten vorrangig das Ziel verfolgen, möglichst viele Beitragszahler anzusprechen. Das tun sie am besten mit einer Sprache, die bei den Zuhörern und Zuschauern Akzeptanz findet. Es wird ihnen nicht gelingen, ein großes Publikum anzusprechen, wenn sie mit dem Gendern auf den sprachpolitisch motivierten Soziolekt einer Minderheit setzen.

Auf welcher Rechtsbasis gestattet es der hr seinen Mitarbeitern, ihre persönlichen sprachpolitischen Ambitionen auszuleben? Sie schreiben: „Insbesondere für jüngere Kolleginnen und Kollegen gehört gendergerechte Sprache, die sich in Darstellungsformen wie dem Gendersternchen oder dem Genderdoppelpunkt darstellt, zum Alltag.“ Das mag ja so sein, Ihre Mitarbeiter sind jedoch nicht repräsentativ für unsere Gesellschaft. In den Redaktionen des Hessischen Rundfunks ist offenbar ein Milieu überproportional vertreten, das sich gerade in der Frage von Gendersprache (aber auch in seinen sonstigen politischen Präferenzen) deutlich von der übrigen Gesellschaft unterscheidet. Umfragen zeigen, dass sich – auch in den jüngeren Altersgruppen der Bevölkerung – eine überwältigende Mehrheit gegen gegenderte Sprachformen ausspricht. Das von der Friedrich Ebert-Stiftung jüngst ausgezeichnete Buch „Triggerpunkte“ von Steffen Mau et al. macht auf diesen Umstand aufmerksam. Und warum eigentlich gestattet es der hr seinen „Kolleginnen und Kollegen“, genau jene Gendersonderzeichen zu verwenden, die hessischen Schülern als Fehler in Arbeiten angestrichen werden? Warum dürfen sich Mitarbeiter, die mit einem grammatisch falsch angewandten Partizip als „Mitarbeitende“ bezeichnet werden, über das geltende Regelwerk der Rechtschreibung hinwegsetzen und damit den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterlaufen?

Bereits im Jahr 2022 wurde eine Petition auf den Weg gebracht, in der Sprachexperten die Genderpraxis des ÖRR kritisieren (linguistik-vs-gendern.de). Die Presse berichtete ausführlich darüber. Dieser Aufruf wurde mittlerweile von rund 1100 Sprachexperten unterschrieben. Darin heißt es: „Die Sprachverwendung des ÖRR ist Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern. Daraus erwächst für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen.“ Zwischenzeitlich haben mehrere öffentlich bekannt gewordene Skandale in einigen Sendeanstalten dafür gesorgt, dass sich eine Debatte über den Zustand und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsponnen hat. Dennoch ist bis heute nicht erkennbar, dass die Sender bereit wären, sich selbstkritisch mit ihrer Sprachpraxis auseinanderzusetzen. Dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist zeigt der Text auf der hr-Website: Er dokumentiert, dass der Hessische Rundfunk sich weiterhin gegen jegliche Kritik an seiner Sprachpraxis abschottet. Damit jedoch stellt er seine Legitimation als lebendiges, offenes und bürgerfreundliches Medium leider zunehmend selbst in Frage.

Dr. Dagmar Lorenz ist Literaturwissenschaftlerin und Sinologin. Sie war als Dozentin in China tätig und arbeitet als Autorin u.a. für mehrere Rundfunkanstalten. Ihre Themen: Sprachgebrauch, Literaturgeschichte und chinesische Kultur. Zu ihren Veröffentlichungen zählt auch ein in zwei Auflagen erschienenes Sachbuch über Journalismus.

Der studierte Germanist und Musiker Fabian Payr ist Autor des Buches: „Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören“. Er ist Initiator des Aufrufs linguistik-vs-gendern.de